– Blogbeitrag –
Impostor-Syndrom & Perfektionismus in der Steuerwelt
Wer als Steuerberater erfolgreich ist, hat es geschafft. Oder? Der Titel, die Verantwortung, die Expertise – all das spricht für sich. Doch was ist, wenn sich trotz objektivem Erfolg das Gefühl einstellt, man sei eigentlich gar nicht so gut, wie alle denken? Genau das nennt sich Impostor- oder Hochstapler-Syndrom und betrifft mehr Menschen, als man denkt.
Karrierecoach Anna von Troschke weiß, wovon sie spricht. Sie war selbst viele Jahre als Rechtsanwältin und Inhouse-Juristin tätig, bevor sie sich auf das Coaching und Training spezialisierte. Heute begleitet sie nicht nur Juristen, sondern auch zunehmend Steuerberater – und wurde 2025 für ihre Sichtbarkeit auf LinkedIn als Legal Influencer und als Vorbild in der Rechtsbranche ausgezeichnet.
Im Gespräch gibt sie einen offenen Einblick in diese besondere Form der Selbstzweifel – und zeigt, was wir in der Steuerwelt tun können, um besser damit umzugehen.
Was ist das Impostor-Phänomen wirklich?
Zunächst: Es ist kein “Syndrom” im medizinischen Sinne. „Man sollte daher besser von “Phänomen” sprechen. Es handelt sich dabei um eine verzerrte Selbstwahrnehmung“, erklärt Anna. „Ein Gefühl, die eigenen Erfolge nicht verdient zu haben – und irgendwann entlarvt zu werden.“ Die ursprüngliche Forschung dazu stammt aus den 1970ern. Besonders verbreitet ist das Impostor-Gefühl in leistungsbezogenen Berufen – etwa bei Juristen, Ärzten oder eben auch Steuerberatern.
Typisch dabei: Erfolge werden nicht der eigenen Leistung zugeschrieben, sondern etwa Glück, Mitleid oder einem Zufall. Fehler hingegen gelten sofort als Beweis für eigenes Versagen. „Viele meiner Coachees sind sehr erfolgreich – aber fühlen sich tief im Inneren nicht gut genug.“
Steuerkarriere & Selbstzweifel: Ein Tabuthema?
Gerade in der Steuerwelt ist es laut Anna noch immer ungewöhnlich, über innere Zweifel offen zu sprechen. „Selbstzweifel gelten oft als Schwäche – dabei betreffen sie auch äußerst leistungsstarke Personen.“ Das betrifft nicht nur Berufseinsteiger, sondern auch erfahrene Steuerberater.
Viele hoffen: „Wenn ich erst das Examen schaffe, dann wird’s besser.“ oder: “Wenn ich befördert werde, fühle ich mich endlich sicherer.” Doch das Gegenteil ist häufig der Fall. Der innere Druck steigt, weil das Umfeld noch mehr Kompetenz erwartet – und die eigenen Ansprüche weiterwachsen. Perfektionismus, ständiger Vergleich mit anderen und das Gefühl, nicht „gut genug“ zu sein, begleiten viele länger als gedacht.
Leistungsdruck, Perfektionismus, People Pleasing
Die Ursachen? Ein Mix aus persönlichen Eigenschaften und strukturellen Anforderungen. Viele Steuerberater sind leistungsstark, analytisch und detailorientiert – Eigenschaften, die in der Branche gefragt sind. Aber genau diese Stärken können zur Falle werden, wenn sie von innerem Druck statt von Selbstvertrauen getrieben sind.
Perfektionismus zeigt sich etwa in überzogener Fehlervermeidung, in Prokrastination, oder in People Pleasing, dem Drang, es allen recht machen zu wollen. „All das kostet Kraft – und kann langfristig krank machen.“
Was hilft wirklich?
„Der erste Schritt ist: Erkennen, was passiert.“ Viele Betroffene können mit Begriffen wie Impostor-Phänomen oder Perfektionismus nicht viel anfangen – aber kennen das Gefühl, innerlich permanent unter Druck zu stehen.
Anna empfiehlt, das Thema früher in der Ausbildung und in Unternehmen zu adressieren. „Wenn das Muster früh erkannt wird, kann man lernen, damit umzugehen.“ Neben Einzelcoachings arbeitet sie auch mit Kanzleien, Unternehmen und Universitäten, um mehr Awareness zu schaffen.
Ihr Ansatz: „Es gibt kein Patentrezept. Aber es gibt Wege. Coaching, Mentoring oder auch therapeutische Angebote können helfen. Wichtig ist: Du musst es nicht allein schaffen.“
Was können Führungskräfte tun?
„Selbstzweifel sieht man nicht auf den ersten Blick. Gerade deshalb braucht es Aufmerksamkeit, Zuhören und gezielte Unterstützung“, sagt Anna. Ihr Appell an Führungskräfte:
- Sei Vorbild. Teile eigene Erfahrungen, zeig dich menschlich.
- Gib differenziertes Feedback, nicht nur pauschales Lob oder Kritik.
- Frag aktiv nach, wo jemand Unterstützung braucht.
- Schaffe Strukturen: z. B. durch interne Coach-Pools, niedrigschwellige Trainings oder externe Anlaufstellen – auch anonym.“
- Und vor allem: Nimm Sorgen ernst – auch (oder gerade) bei den Stilleren im Team.
Ein Thema für alle
Laut einer Studie von KPMG haben 75% der weiblichen Führungskräfte in verschiedenen Branchen im Verlauf ihrer Karriere das Impostor-Syndrom erlebt (Quelle). Doch betrifft das Impostor-Phänomen nicht nur Frauen.
„Die ursprünglichen Studien waren zwar weiblich fokussiert, aber heute wissen wir: Es betrifft männliche und weibliche Fachkräfte gleichermaßen.“ Besonders häufig betroffen sind laut Studien Erstakademiker, also Personen aus Familien ohne akademischen Hintergrund, die als Erste diesen Weg gehen.
Fazit: Mehr Sichtbarkeit, weniger Scham
„Selbstzweifel machen dich nicht weniger kompetent. Sie machen dich menschlich.“
Anna von Troschke zeigt eindrücklich, wie verbreitet dieses Thema ist – und wie sehr es hilft, offen darüber zu sprechen. Für die Steuerbranche heißt das: Mehr Raum für Gespräche, ein reflektierter Blick auf Leistung – und der Mut, nicht immer perfekt sein zu müssen.
Sie möchten mehr zum Impostor-Phänomen, innerer Stärke und einem gesunden Umgang mit Leistung erfahren? Auf LinkedIn teilt Anna von Troschke regelmäßig Impulse und Einblicke aus ihrer Arbeit als Karrierecoach – oder schauen Sie auf www.annavontroschke.de vorbei.
Herzlichen Dank für das Gespräch und die wertvollen Impulse zu diesem wichtigen Thema!
Bis zur nächsten Ausgabe,
Ihr Alexander Gries
*Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir das männliche Geschlecht – gemeint sind selbstverständlich alle Geschlechter gleichermaßen.
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